Ungeordnete Gedanken
von Triggerhappy am 23.10.16 um 23:33
Antwort auf: Re:Nachtrag von Triggerhappy

Zunächst mal: Es ist immer noch Civilization. Das heißt, es ist immer noch verdammt gut. Ich schicke das nur voraus, weil jetzt vor allem Kritik folgt. Zweitens: Ich habe nur zwei komplette Partien hinter mir, dazu drei oder vier angefangene. Es sind also nach wie vor sehr oberflächliche Eindrücke. Viele Spielbereiche durchschaue ich bestenfalls ansatzweise. Das vorausgeschickt folgend ein paar Auffälligkeiten.

- Der Kartengenerator spuckt teilweise sehr seltsame Matches aus. Habe bislang nur Continents ausprobiert. In einem Match war ich allein auf einer Insel. In einem anderen hatte ich nur einen Gegenspieler auf meinem Kontinent: Griechenland. Die anderen vier Civs waren auf dem anderen Kontinent. Umso überraschender, weil ich selber ebenfalls als Griechenland gespielt habe. Dafür hatten wir alle bis auf zwei City States auf unserem Landstück. Die Geographie ist stellenweise auch etwas zweifelhaft. Auf einer Karte hatte ich riesige Gebirgszüge, die das Ausbreiten für alle Parteien extrem eingeschränkt haben. Auf einer anderen Karte gab es viel Wüste, Eis und Grasland, aber praktisch keinen Dschungel.
- Der Matchgenerator bietet nur einen kleinen Teil der gewohnten Optionen. Beispielsweise kann man nicht mehr ohne City States spielen, es gibt keine Einstellung mehr für ausgeglichene Ressourcen, auch fehlen einige Kartentypen.
- Die Zugberechnung dauert schon ab dem Mittelalter abartig lange. Mehr als sechs Spieler sind definitiv nicht zu empfehlen, ebensowenig Karten über der Standartgröße.
- Es fehlen altbekannte Befehle und Komfortfunktionen. Keine Bewegung per Tastatur mehr, keine Sentry-Funktion (!), kein Durchschalten der Städte.
- Es gibt einige blöde Bugs. In einer Partie konnte ich die Erfahrungsstufen meiner Einheiten ab einem bestimmten Punkt nicht mehr steigern. Habe ich leider zu spät gemerkt und wollte nicht mehr zurück. In einer anderen Partie gab es Städte, die weder ich noch die KI konvertieren konnte. Das Spiel hängt sich außerdem auf meinem System beim Verlassen übers Menü gerne auf. Alt + F4 funktioniert glücklicherweise.
- Das automatische Springen zur nächsten Einheit beziehugnsweise zur nächsten Auswahl stört kolossal. Das war schon bei Civ 5 lästig, aber da konnte man es noch abstellen (mag eine Mod gewesen sein). Es nervt einfach, wenn man mitten in einer Belagerung steckt, und dann entscheidet das Spiel, dass man doch bitte schön als nächstes irgendeinen unwichtigen Arbeiter bewegen soll. Vor allem stört mich dabei, dass es beim Sprung zur nächsten Aktion immer so eine kurze Denkpause gibt. In der Zeit habe ich oft schon irgendwas anderes angewählt, und dann bewegt man plötzlich die völlig falsche Einheit oder wählt ein falsches Ziel. Warum lassen mich die Entwickler nicht selber spielen? Ich muss nicht an der Nase durch die Arena gezogen werden, vielen Dank.
- Die KI hat einige üble Macken. Sie spamt Einheiten ohne Ende, rüstet die dann aber nicht auf. Die KI-Generäle gurken noch im 20. Jahrhundert mit Speerträgern rum, obwohl sie schon längst modernere Truppen produzieren könnten. Auch die Auswahl ist seltsam: In einer Partie hatte ich einen City State vor der Haustür, der praktisch ausschließlich Katapulte gebaut hat. Und zwar so viele davon, dass man praktisch nirgendwo mehr durchkam. Ich kapiere nicht, warum ich bei Staaten, mit denen ich nicht im Krieg liege, nicht zumindest Zivilisten einfach "unter" Militäreinheiten bewegen kann. Es ist einfach fürchterlich lästig, wenn meine Arbeiter oder Missionare mehrere Runden lang blockiert werden, weil die KI ihre Einheiten sinnlos herum schiebt. In derselben Partie hat Gandhi meinen Kontinent mit 36 (ja, ich habe sie gezählt) Aposteln geflutet, da gab's kein Durchkommen mehr. Nicht dass er sie irgendwie eingesetzt hätte, die standen einfach nur im Weg.
- Die Kampf-KI ist definitiv weniger kompetent als in Civ 5. Ich kämpfe traditionell eher ungern in Civs, weil die KI so einfach zu leicht zu schlagen ist. Aber was ich bislang gesehen habe, war wirklich mies. Statt Angriffe zu fokussieren oder angeschlagene Einheiten anzugreifen, verteilt der Computer seine Schläge scheinbar völlig wahllos. In der oben angesprochenen Griechen-gegen-Griechen-Partie hat mir mein Alter Ego beispielsweise recht früh den Krieg erklärt und trotz anfangs dreifacher Übermacht dermaßen katastrophal auf die Fresse bekommen, dass er ein paar Runden später absolut alles inklusive seiner Städte verloren hatte - ich habe dabei keine einzige Einheit eingebüßt. Ein positiver Aspekt ist immerhin, dass die KI aggressiver zu spielen scheint und beispielsweise auch aktiv gegen Barbaren vorgeht.
- Die stratgische KI habe ich noch längst nicht durchschaut, aber oberflächlich betrachtet scheinen mir einige Verhaltensweisen sehr fraglich. Der Stadt-Ausbau ist halbwegs nachvollziehbar, konzentriert sich aber meiner Meinung nach zu wenig auf Wachstum und zu stark auf Militär oder Religion. Wunder sind offenbar wenig beliebt (dazu später mehr). Nach wie vor scheinen die Stadt-Positionen der KI weitgehend wahllos und sie spamt auch noch das letzte Zipfelchen Land mit Siedlungen voll, auch wenn das absolut keinen Sinn macht. Dann wiederum scheinen große Reiche kaum Nachteile zu haben, jedenfalls deutlich weniger als in Civ 5, wo kleine Staaten einige klare Vorteile hatten.
- Bei der Gelegenheit: Auch Civ 6 ist wieder eher eine Städte- als eine Staatensimulation. Die Grenzen breiten sich viel zu langsam aus und es gibt offenbar keinen "Einfluss" mehr, also nicht-militärische Kampf um Staatsgebiet. Das führt wieder zu den altbekannten "Insel"-Siedlungen. Finde ich wirklich schade, ich hätte da gerne eine realistischere Ausbreitung des Siedlungsgebiets. Enklaven und Exklaven sind "in echt" ja doch eher selten.
- Das Interface, insbesondere die Menüs, finde ich nicht sonderlich gelungen. Die Anzeigen und Schaltflächen sind arg kleinteilig. Teilweise fehlen wichtige Informationen (wie Terrain-Yields oder Ausbauten) beziehungsweise werden nur per Mouseover oder über bestimmte Aktionen und Einheiten angezeigt. Religion ist so ein Fall: Ich sehe die Verteilung der Glaubensrichtungen nur, wenn ich eine Religions-Einheit auswähle, und auch dann nicht immer für jede Stadt. (Es mag dafür eine Option geben, die ich nur noch nicht gefunden habe.) Apropos: Wer hat sich denn diese bescheuerten Overlays bei Religionseinheiten ausgedacht? Die Farben sind dermaßen undglücklich gewählt, dass man kaum sieht, wo man mit seinen Missionaren hin läuft. So was muss doch während der Beta mal jemandem aufgefallen sein.
- Was mir von den vielen Neuerungen definitiv nicht gefällt, sind die Arbeiter und das Straßensystem. Zwei Aktionen pro Arbeiter sind nicht ansatzweise genug. Selbst mit Pyramiden und einem entsprechenden Gesetz werden es nur fünf, das ist immer noch lächerlich wenig. Das reicht nicht mal für eine einzige Stadt. Im späteren Partieverlauf macht man kaum noch was anderes, als Arbeiter zu produzieren/kaufen. Dass man Straßen jetzt nicht mehr "manuell" verlegt, sondern indirekt über Handelsrouten anlegt, stört mich fast genauso sehr. Man kann eben nicht kontrollieren, welche Wege die Karavanen nehmen, und es gibt selbst im Endgame immer noch Ecken, wo man sich mit seinen Einheiten im Schneckentempo vorarbeiten muss, weil es dort einfach keine Verkehrswege gibt. Ja, ganz am Ende kriegt man mit dem Military Engineer eine Einheit, die im alten Stil Straßen bauen kann. Aber die hat genauso wie der Standard-Arbeiter nur lächerliche zwei Aktionen. Großer Spaß.

Noch ein paar Bemerkungen zum "Großen Ganzen". Achtung: Das sind wirklich sehr "wackelige" erste Eindrücke.

- Die Spielgeschwindigkeit scheint mir deutlich geringer als in Civ 5. Civ 6 spielt sich auf Standard zäher als Civ 5 auf Epic. Alle, aber wirklich alle Projekte dauern ewig und drei Tage. Neue Einheit? Zehn Runden. Neuer Distrikt? 20 Runden. Weltwunder? 70. Ich sehe schon, was die Entwickler damit erreichen wollten: Dass man seine Städte stärker spezialisiert, weil einfach nicht genug Zeit ist, überall alles zu bauen. Aber nach meinem Geschmack haben sie es damit übertrieben. Civ 6 spielt sich teilweise wirklich fürchterlich zäh. Die langen Bauzeiten machen es fast unmöglich, auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren beziehungsweise forcieren das Kaufen von Gebäuden und Einheiten. Aber man kann eben längst nicht alles kaufen. Distrikte gehen schon mal nicht, nur die Ausbauten der Distrikte (Wenn man die alle regulär baut, braucht man statt 20 schon mal 40 bis 50 Runden). Und wenn ich Einheiten kaufe, bekommen sie nicht die Vorteile, die sie beim regulären Bauen bekommen würden. Kaufe ich beispielsweise einen Panzer in einer Stadt, die über ein Ausbildungszentrum verfügt, vergebe ich damit die Ausbildungsstufen. Handel und Geldscheffeln sind damit das A und O in Civ 6.
- Auf der anderen Seite sind aber Kriegsführung, Forschung und soziale Fortschritte in etwa so schnell wie früher. Das heißt, dass du Demokratie und Atomwaffen hast, dein Volk aber teils noch in Lehmhütten haust und kein fließend Wasser oder Strom hat.
- Die Spezialisierung der Städte hat ein paar unangenehme Nebeneffekte. Ich kann beispielsweise Archäologen nur in einer Stadt ausbilden, die ein Museum hat (und auch die meisten Artefakte nur dort ausstellen). Das führt aber dazu, dass ich eben keine Städte mehr baue, sondern im Prinzip Fabriken. Hier ist meine Militärfabrik, dort ist meine Wunderfabrik, dort ist meine Handelsfabrik und so weiter. Übertrieben gesagt, fühlt sich das für mich nicht mehr nach Civilization an, sondern nach Wirtschaftssimulation.
- Ständig gibt es irgendwelche Einschränkungen und Voraussetzungen, die man unmöglich alle im Kopf behalten und absehen kann. Du möchtest gerne Einrichtung X bauen? Das geht nur auf einem Hügel neben einem Fluss bei Mondschein. Du freust dich auf Wunder Y? Das bringt dir nur etwas zwei Felder neben Einrichtung Z in Zeitperiode A, wenn du Ressource B kontrollierst.
- Unausgegoren wirken in dem Zusammenhang auch die Heureka-Momente. Bestimmte Ereignisse und Aktionen beschleunigen Forschungsprojekte und soziale Fortschritte. Nur braucht die Forschung meist wesentlich weniger Zeit als die dazugehörigen Aktionen. Das heißt, wenn du die nötigen Voraussetzungen schon erfüllt hast, wunderbar. Wenn nicht, bringt es nur selten was, auf die entsprechenden Ereignisse hin zu spielen. Ich habe gerade kein echtes Beispiel im Kopf, aber sagen wir, du kannst die Zeit für die Erforschung des Frauenwahlrechts halbieren, wenn du dafür zwei Aquädukte baust. Forschung Frauenwahlrecht kostet zehn Runden. Zwei Aquädukte: jeweils 20. Das wirkt teils wirklich nicht ausbalanciert.
- Die Policies sind auch so ein übersezifischer, über-situativer Spielteil. Es gibt (aus dem Gedächtnis) rund drei Dutzend Gesetze, die man erlassen kann, die einem verschiedene Vorteile bringen. Je nach Zeitperiode kann man davon drei bis acht (oder so) aktivieren. Die meisten davon kann man aber komplett knicken, weil sie nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen etwas bringen. Was weiß ich, sagen wir plus zwei Produktivität für alle Wirtschaftsdistrikte mit einer Fabrik. In welchem Universum ist das besser als plus eins Produktion für alle Städte? Sie könnten einem wenigstens per Mouseover anzeigen, welchen Effekt die Policies in der jeweiligen Situation tatsächlich haben.

Du meine Güte, was für ein Roman. Ich mache jetzt lieber Schluss und spiele noch ein wenig Civ 6. Denn wie eingangs gesagt: Spaß macht's trotzdem. Ich glaube nach derzeitigem Stand nicht, dass es mein Lieblings-Civ wird. Aber es wird garantiert auch nicht das schlechteste sein. Und uns stehen ja mutmaßlich noch zwei Add-ons und eine unbekannte Anzahl an Patches ins Haus, die einige Bereiche verbessern dürften. Und die ersten Mods sind auch schon da. Vielleicht gibt's in ein paar Wochen ein Eindrucks-Update. :-)

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