„irreführende Werbung“ in Stellenausschreibungen
von Border am 26.04.21 um 11:07
Antwort auf: Dinge, die gar nicht gehen - Nummer 19 von Pascal Parvex

Ich hätte nie gedacht, dass das mal ein Thema werden würde, aber so langsam wird es zu einem echten Problem, da einfach dreist gelogen wird.

Zur Situation: ich bin in einem verhältnismäßig sicherem Job, der mir sehr gefällt und bei einer Firma, die ich sehr angenehm finde. Ich bin also nicht aktiv auf der Suche nach einem neuen Job. Nach dem Motto „Never say never“ schaue ich mir aber hin und wieder Stellenausschreibungen an.

In den letzten Monaten wurde ich über XING und LinkedIn mehrfach von Headhuntern angesprochen. Das Prozedere kennt man ja (vielleicht)... „Wir haben einen Auftraggeber, der unserer Auffassung nach jemandem sucht, der genau Sie sind!“. In den meisten Fällen lasse ich mir ein paar anonyme Details nennen und lehne dann auch schon ab. Dreimal kam es nun allerdings vor, dass mich eine Stelle tatsächlich interessiert hat. Klang interessant und vielversprechend, also warum nicht mal mehr erfahren? So nahm der Prozess dann eben seinen Lauf...

Zunächst weiß man oft nicht, um wen es eigentlich geht. Es werden nur die Rahmenbedingungen, Benefits und grob die Branche genannt. Erst wenn es über den reinen Informationsaustausch hinausgeht und beide Seiten einander kennenlernen wollen, wird es konkret. In allen Fällen war es nun so, dass die Vokabel Homeoffice regelrecht herausstach. Teilweise in blumigen Formulierungen, wie „Wir leben Homeoffice“ oder „Homeoffice ist bei uns kein Mittel zum Pandemie-Zweck, sondern seit Jahren gelebter Standard.“

Da ich seit nunmehr sieben Jahren ausschließlich im Homeoffice arbeite, sind das eben die Stellen, die mich neugierig machen, da ich diese Arbeitsweise für mich perfektioniert habe und ich durchaus Arbeitgeber kenne, die nicht einmal mehr feste Arbeitsstätten haben, sondern vollständig in digitalen Teams organisiert sind. Für mich einfach die perfekte Arbeitsweise. Bei uns gibt es beispielsweise (wenn nicht gerade Corona ist) einmal im Quartal ein Präsenz-Meeting, eine Weihnachtsfeier am Jahresende und einmal im Jahr eine große, einwöchige Versammlung des gesamten Unternehmens am Hauptstandort inkl. Abendveranstaltungen zum internen, abteilungsübergreifenden Netzwerken.

In allen (!) der drei genannten Fälle der letzten Monate (gestern zum letzten Mal) kam es zu Bewerbungsgesprächen per Video-Konferenz. In allen drei Fällen bin ich aus reiner Neugier - und vielleicht einfach aus finanziellem Interesse - bis in die letzte Runde gegangen, nur um dann zu beobachten, wie die Homeoffice-Fassade nicht nur bröckelt, sondern regelrecht eingerissen wird. Langsam kommt dann zum Vorschein kommt, dass eigentlich keiner von denen Lust hat, Mitarbeiter im Homeoffice zu beschäftigen. Plötzlich wandeln sich die Aussagen aus der Ausschreibung in Sätze wie: „Wir hätten gerne, dass jemand an seinem Tisch sitzt, wenn ich sein Büro betrete." oder i:[„In einem Kreativ-Team ist Präsenz einfach das A und O." Meinen neuen Favoriten habe ich dann gestern gehört: „Jetzt seien wir doch mal ehrlich: Homeoffice ist doch nichts anderes als eine Sau, die Corona-bedingt durchs Dorf getrieben wird. In zwei Jahren wird doch kein ernstzunehmendes, erfolgsorientiertes Unternehmen dezentrale Arbeitsplätze bereitstellen.“

Warum kommen die mit diesem Schwachsinn immer auf den letzten Metern? Am Ende verhandelt man über die Anzahl der Tage im Homeoffice pro Monat. Bei dem einen war es maximal ein Tag die Woche, der beste Fall war letzten Monat, da waren es immerhin sechs frei wählbare Tage im Monat. Was soll diese Irreführung? Warum verbringe ich Stunden mit der Zusammenstellung der richtigen Fähigkeiten, Zertifikate, mit der Sichtung und der Information über das Unternehmen? Warum verschwende ich Stunden meines Lebens mit etlichen Headhunter-Chats und -Telefonaten, fülle individuelle Profil-Formulare aus, unterschreibe etliche Datenschutz-Vereinbarungen und vereinbare Termine, wenn mir am Ende ein Personalmanager genau das Gegenteil von dem erzählt, was in der Ausschreibung seines Unternehmens steht? Immerhin war der Vorletzte ehrlich und meinte, dass der Begriff "Homeoffice" in Ausschreibungen heute enthalten sein muss, um überhaupt Bewerber/innen aufzufallen. Da ich hieraus gelernt hatte, habe ich beim Letzten schon in den Vorgesprächen mit der Vermittlerfirma klargestellt, dass Homeoffice unerlässlich ist, wenn das Unternehmen Interesse an mir als potenziellem Mitarbeiter hat. Wurde zweimal bestätigt und im direkten Gespräch kam dann dieser Schund.

Und die Argumente... meine Güte. Warum wundern wir uns hierzulande überhaupt noch, dass wir in Sachen Digitalisierung auf den hinteren Plätzen landen? Ich werde den Eindruck nicht los, dass die meisten Firmen nach wie vor gerne so funktionieren würden wie Unternehmen aus der Zeit, als Heinz Erhardt noch den tollpatschigen Firmenpatriarchen gespielt und man ihn mit Herr Generaldirektor angesprochen hat. Ich hoffe für alle, dass diese dreisten Lügen aufhören. Ich werde jedenfalls sobald nicht mehr in diesen mühsamen Prozess einsteigen und es gibt mittlerweile durchaus weitreichend bekannte Unternehmensnamen, die bei mir nicht mehr positiv besetzt sind...

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